Mitten aus dem Lehrer*innen-Leben
00:00:00: Herr Schulte-Körne: Das, was es bedarf, ist ein professioneller Blick.
00:00:04: Lehrer*innen haben den Blick. Täglich in Interaktionen mit den Schülern beobachtet man, stellt etwas fest.
00:00:11: Stellt man eine Veränderung fest, dass sich jemand mehr zurückzieht,
00:00:15: stummer geworden ist, auch der Blick sich verändert, in der Reaktion sich verändert, mehr zurücknimmt oder gar nicht mehr mitteilt. Wenn so Veränderungen da sind, dann sollte man nicht warten, sondern den Kontakt suchen, ansprechen.
00:00:28: Music.
00:00:38: Judith: Willkommen bei der Marktplatzplauderei, dem Podcast von eduki.com/de. Hier sprechen wir mit spannenden Lehrerinnen und Lehrern, mit Meinungsmachern aus der Bildungsbranche über ihre Herzensthemen. Unsere Gäste verraten ihre besonderen Tipps, Tools und
00:00:53: best practice. Und das Beste daran: Ihr könnt jede Menge für euch mitnehmen.
00:00:59: Ich bin Judith und freue mich sehr, Host dieses Podcasts zu sein.
00:01:05: Hallo und herzlich willkommen zur Marktplatzplauderei. Viele von euch berichten gerade, dass es nicht nur euch nicht gut
00:01:12: geht, ihr ausgepowert und erschöpft seid, sondern dass es auch vermehrt Sorgen um eure Schüler*innen gibt,
00:01:19: denn die andauernde epidemische Lage scheint doch alles andere als spurlos an ihnen vorüberzugehen. Aus diesem Grund spreche ich heute mit Professor Doktor Schulte-Körne, dem Direktor der Klinik und
00:01:33: Poliklinik für Kinder und Jugendpsychiatrie,
00:01:37: Psychosomatik und Psychotherapie des LMU Klinikums München. Wow, Sie haben echt einen langen Titel. Herzlich willkommen Professor Schulte-Körne.
00:01:48: Herr Schulte-Körne: Ja, hallo Judith! Judith: Wir starten in der Marktplatzplauderei immer mit unserer Kennenlernrunde "1 vor 8", damit unsere Hörer*innen Sie ein bisschen besser kennenlernen.
00:02:00: Ich stelle Ihnen ein paar Fragen. Ich freue mich, wenn Sie so schnell wie möglich antworten und wir haben dafür eine Minute Zeit. Sind sie startklar?
00:02:08: Herr Schulte-Körne: Ich bin startklar. Judith: Dann geht es jetzt los. Ich lebe im schönen ...
00:02:15: Herr Schulte-Körne: München. Judith: Zum Frühstück gab es heute ... Herr Schulte-Körne: Mal wieder Müsli. Judith: Mein Lieblingsfach in der Schule war ...
00:02:23: Herr Schulte-Körne: Geschichte. Judith: Nachteule oder Frühaufsteher?
00:02:28: Herr Schulte-Körne: Beides. Judith: Das geht eigentlich nicht. Stadtwohnung oder Haus auf dem Land?
00:02:39: Herr Schulte-Körne: Stadthaus. Judith: Ich sehe schon. Das wird nicht einfach mit uns hier. Mein Lieblingstool auf meinem Smartphone ist ...
00:02:48: Herr Schulte-Körne: WhatsApp. Judith: Das letzte Buch, das ich gelesen habe ...
00:02:53: Herr Schulte-Körne: War ein Fachbuch. Judith: Im Urlaub fahre ich gerne nach ... Herr Schulte-Körne: Italien. Judith: Kaffee oder Tee?
00:03:01: Herr Schulte-Körne: Eindeutig Kaffee. Judith: 10000 Schritte am Tag, ein Problem oder kein Problem?
00:03:07: Herr Schulte-Körne: Kein Problem. Judith: Wow! Ich bin ein großer Fan von ...
00:03:15: Herr Schulte-Körne: Meiner Frau. Judith: Das ist die beste Antwort, die man geben kann. Vielen lieben Dank und wir können jetzt auch direkt schon ins Thema einsteigen, weil unsere Minute ist auch schon herum.
00:03:27: Bevor wir das allerdings tun, würde ich gerne auch eine Triggerwarnung loswerden. Wir werden uns ja über psychische Gesundheit und Depressionen austauschen. Wenn ihr selbst, liebe Hörer*innen, oder jemand in eurem direkten
00:03:39: Umfeld sich in einer Notsituation befindet, dann empfehlen wir euch natürlich, dass ihr euch an eure Ärzt*innen wendet oder an die Telefonseelsorge unter der Nummer
00:03:50: 0800 111 0 111 oder
00:03:56: ihr könnt auch bei einem tollen neuen Portal vorbeischauen und darüber spreche ich jetzt. Herr Schulte-Körne, vor wenigen Wochen haben Sie und Ihr Team das Infoportal "Ich bin alles" gelauncht. Beschreiben Sie doch gerne mal selbst, worum es bei dem Projekt geht.
00:04:13: Herr Schulte-Körne: "Ich bin alles" haben wir gemacht für Kinder und Jugendliche, um ihnen Informationen und Hilfe
00:04:20: anzubieten, die sie direkt ansprechen. Viele berichten immer über die Probleme der Kinder und Jugendlichen und immer die Erwachsenenperspektive,
00:04:28: aber dass sie sich jetzt direkt angesprochen fühlen, sowohl was die Sprache angeht, was die Bilder angeht und was die Infos angeht, das fehlte total. Wir haben gesagt, wir wollen das ändern.
00:04:39: Wir wollen aber auch Informationen geben, die
00:04:42: wissenschaftlich abgesichert sind. Wir wollen nicht einfach aus dem hohlen Bauch raus mal Empfehlungen abgeben, sondern sagen: "Nee, da gibt es klare Studien dafür, die zeigen halt, das und das wirkt, das kann man gut machen und da gibt es auch wenig Risiken, wenn man das macht."
00:04:56: Judith: Genau und wir haben jetzt, glaube ich, noch gar nicht gesagt, dass es überwiegend um das Thema Depressionen auch tatsächlich geht, Depressionen bei Kindern und Jugendlichen.
00:05:06: Sie haben ja sogar, habe ich auf der Seite gesehen, auch Hilfsangebote in Form von direkter Ansprache, konkreten Tipps, aber auch ein Literaturverzeichnis, wenn man sich hinterher noch mal mehr informieren kann und das Wichtigste haben Sie auch schon gesagt. Die Zielgruppe sind
00:05:21: die Jugendlichen selbst. Es gibt auch eine Unterrubrik. Da richtet man sich, glaube ich, auch an Eltern, richtig?
00:05:29: Herr Schulte-Körne: Es gibt extra eine Seite für Eltern, weil wir es auch wichtig finden, die Eltern mit ins Boot zu holen. Die haben nämlich auch viele Fragen und würden gerne wissen, wie man jetzt mit Depressionen beim Kind umgeht oder auch mit psychische Krisen.
00:05:42: Judith: Und wo sehen Sie selbst aber auch Grenzen des Portals?
00:05:48: Herr Schulte-Körne: Das Portal ist jetzt kein Behandlungsangebot, sondern das ist primär präventiv. Das heißt, wir wollen eben mit der Information aufklären, wollen Mut machen, sich Hilfe zu suchen,
00:05:59: wollen aber auch motivieren, die eigenen Ressourcen wiederzuentdecken.
00:06:03: Und da geht vieles. Also es ist primär eine präventive Seite, keine Behandlungsseite. Judith: Das ist besonders wichtig zu sagen.
00:06:09: Judith: Was ja besonders auffällig ist und das hatten Sie gerade auch schon angesprochen, ist das tolle Design und auch die Art der Ansprache. Also die ist ja wirklich sehr an den Jugendlichen orientiert und ich muss wirklich Ihnen ein Lob aussprechen, weil ich habe das noch nie so gesehen bei den Themen. Deswegen erstmal das Lob an dieser Stelle und es gibt ja auch begleitende
00:06:30: Social-Media-Accounts, also bei Instagram und sogar auch bei TikTok. Warum war Ihnen das so wichtig?
00:06:38: Herr Schulte-Körne: Weil wir ganz klar wissen, dass die meiste Kommunikation der Kinder und Jugendlichen über diese Kanäle läuft.
00:06:44: Und wir wollen ja genau die Kinder und Jugendlichen ansprechen. Deswegen ist es wichtig, die Social Media auch entsprechend zu bedienen und zu nutzen.
00:06:51: Judith: Genau und das machen Sie ja gar nicht unbedingt selber, also Sie selber treten da ja nicht unbedingt in Erscheinung, sondern da steht auch noch so ein Team dahinter.
00:07:00: Herr Schulte-Körne: Die ganze Seite ist ein riesiges Teamwork und man muss sagen, wir konnten das sowieso nur zusammen mit der Beisheim Stiftung machen. Ohne die wäre das überhaupt nicht gegangen. Also von daher ist so eine Seite, die so kompliziert in der Entstehung ist, immer ein Teamwork.
00:07:15: Aber das macht auch Spaß. Man muss sagen, im Team zu arbeiten mit den vielen verschiedenen professionellen Blicken darauf, ist auch ein Gewinn für alle.
00:07:23: Judith: Ja, auf jeden Fall. Wo kommen denn die ganzen jungen Menschen auch her, die Sie da gewinnen konnten, die da die ganze Social-Media-Arbeit machen?
00:07:31: Herr Schulte-Körne: Ja, ich glaube, das ist wirklich erstaunlich. Viele sind einfach auch ganz interessiert an dem Thema.
00:07:37: Wenn Sie Teammitglieder suchen und sagen, Sie machen so etwas, sagen viele:
00:07:41: "Wow, das interessiert mich. Da möchte ich mich gerne einbringen." Es ist gar nicht so schwierig, das Team zu finden. Das Entscheidende ist letztendlich, wie kommuniziert man miteinander, also wie schafft man, dass eben die verschiedenen Perspektiven Wissenschaft, Kommunikation und Design, wie bringt man die Leute so zusammen, dass nachher so eine tolle Seite entsteht.
00:08:00: Judith: Und wie sind Sie denn grundsätzlich auf die Idee gekommen? Also ich habe mich so in der Vorbereitung gefragt, ob es irgendwie aktuelle Studien auch gibt,
00:08:10: die belegen, dass viel mehr Kinder und Jugendliche aktuell unter Depressionen oder auch anderen Folgen der Pandemie mental leiden.
00:08:21: Herr Schulte-Körne: Wir haben die Seite allerdings schon vorher entwickelt, bevor überhaupt Corona kam, weil der Bedarf eben an dieser Information für Kinder und Jugendliche schon vorher und schon länger besteht.
00:08:31: Die Pandemie hat das noch mal beschleunigt und hat noch mal gezeigt, wie notwendig das ist, auch über psychische Risiken aufzuklären und dem entgegenzuwirken. Aber die Basis war eigentlich eine Leitlinie, die wir entwickelt haben, zur Behandlung bei Depressionen bei Kindern und Jugendlichen und da haben viele Expert*innen zusammengesessen, haben was Tolles entwickelt,
00:08:50: aber die, für die die Leitlinie gemacht wurde, die waren nicht beteiligt
00:08:55: und die können auch die Leitlinie so gar nicht verstehen. Und da habe ich immer gesagt, das müssen wir ändern. Wenn wir den Kindern und Jugendlichen zeigen wollen, was
00:09:04: gut ist, wie man sich Hilfe suchen kann oder was auch hilft in der Behandlung, müssen wir sie ins Boot holen und wollen das auch.
00:09:10: Das war eigentlich der Grundgedanke. Dann hat sich gezeigt, dass psychische Erkrankungen und Belastungen so häufig sind und so die Kinder bedrücken, dass wir da
00:09:19: präventiv mehr machen wollen. Judith: Gibt es dazu auch Studien, dass es bedingt ist auch durch
00:09:29: die Pandemie. Herr Schulte-Körne: Ja, die Pandemie hat das deutlich noch mal zu Tage gebracht. Wir hatten ja vorher die Studien, dass ungefähr 20% der Kinder und Jugendlichen belastet waren und das ist jetzt enorm angestiegen zwischen 30 und 40 %.
00:09:41: Wir sehen jetzt aktuell auch wieder in der Entwicklung, wie das zunimmt. Die Kinder und Jugendlichen haben jetzt schon gesagt: "Um Gottes Willen, nicht schon wieder Schulschließungen."
00:09:50: Jetzt droht schon wieder so eine Art Lockdown und
00:09:54: diese depressive, ängstliche Stimmung, die sich auch in der Gesellschaft mitteilt, die erleben die Kinder und Jugendlichen noch stärker, weil die haben kein Sprachrohr.
00:10:04: Wo artikulieren die sich in der Politik, wo hören wir von Kindern und Jugendlichen, die in der Öffentlichkeit auftreten und ein Forum haben, wo sie wahrgenommen werden? Das gibt es nicht und das ist eine große Gruppe unserer Gesellschaft, die nicht beteiligt ist.
00:10:17: Judith: Ich finde auch, dieser Lockdown und
00:10:21: diese Einschränkungen sind ja so das eine, aber ich habe mich in letzter Zeit auch viel gefragt, auch in Rücksprache mit Lehrer*innen,
00:10:28: wie ist die Situation auch mit den Testungen in der Schule. Da wird man getestet und auf einmal ist man positiv, dieses positive Testergebnis. Also ich meine, da wurde wochenlang, die ganze Zeit vor Corona gewarnt und dann bin ich auf einmal positiv. Was macht das mit den Kindern und Jugendlichen?
00:10:48: Herr Schulte-Körne: Ja, das ist ganz unterschiedlich. Primär löst das erstmal Schuldgefühle aus, weil das natürlich auch Konsequenzen für die anderen, für die Mitschüler hat und nicht jeder geht damit positiv um.
00:10:58: Wir haben in unserer Gesellschaft eine gewisse Spaltung zwischen denjenigen, die positiv, nicht positiv sind und getestet, nicht getestet und Geimpften und Nicht-Geimpften.
00:11:06: Für die Kinder und Jugendlichen muss man immer wieder sagen,
00:11:11: was sollen sie tun in der Situation, was ist der Ausgleich, wie können die damit auch leben, mit diesem Gefühl und da haben wir wenig Spielraum. Deswegen sagen wir immer,
00:11:21: man muss es rational sehen. Das ist eine Infektionserkrankung, um die es geht. Die politischen Dimensionen, die das hat, die Schuldzuweisung auch gerade am Anfang der Pandemie, dass die Jugendlichen die Treiber sind. Wenn die dann ausgebrochen sind, auch teilweise kriminalisiert wurden. Das sind schon auch Entwicklungen, die belasten und
00:11:41: da gilt es wirklich, aufzuklären und zu sagen: Das ist die falsche Perspektive. Die Kinder und Jugendlichen waren nicht die Treiber.
00:11:49: Wir müssen eigentlich eher auf deren Gesundheit schauen, nicht nur die körperliche, sondern auch die psychische Gesundheit.
00:11:55: Judith: Genau und das ist ja genau das, was Sie auch mit Ihrem Portal im Prinzip erreichen wollen und da würde ich jetzt auch noch mal inhaltlich ein bisschen tiefer mit Ihnen einsteigen. Was sind denn erste Anzeichen dafür, dass aus einer Erschöpfung oder aus diesem "Es geht mir nicht so gut-Zustand"
00:12:10: vermutlich eine Depression geworden ist?
00:12:16: Herr Schulte-Körne: Ich glaube, das Wichtigste ist, wenn so ein Zustand der Verzweiflung und Traurigkeit länger anhält und man quasi da gar nicht mehr so rauskommt. Also die Jugendlichen beschreiben da auch so ein Gefühl:
00:12:28: Ich habe überhaupt keine Motivation mehr, ich habe keinen Antrieb mehr, auch mein Schlaf ist plötzlich anders, ich kann schlecht einschlafen, wache nachts auf, ich mache mir immer wieder Gedanken darum, dass es meinen Eltern schlecht geht, mach mir Selbstvorwürfe, zweifle an einer Zukunft, die positiv ist. Wenn das alles zusammen kommt und immer wieder,
00:12:49: über einen Tag, über eine Woche, über zwei Wochen, dann sind das wirklich wichtige Warnhinweise und dann sollte man sich Hilfe suchen.
00:12:58: Judith: Ja und wir richten uns ja mit unserem Podcast überwiegend an Lehrer*innen, also in erster Linie. Welche Rolle hat denn hier die Schule? Also diese
00:13:07: Anzeichen, die Sie beschreiben, können ja durchaus von Lehrer*innen beobachtet werden.
00:13:12: Herr Schulte-Körne: Absolut und ich meine das, was es bedarf, ist ein professioneller Blick.
00:13:19: Lehrer*innen haben den Blick. Täglich in Interaktionen mit den Schülern beobachtet man, stellt etwas fest. Stellt man eine Veränderung fest, dass sich jemand mehr zurückzieht,
00:13:29: stummer geworden ist, auch der Blick sich verändert, in der Reaktion sich verändert, mehr zurücknimmt oder gar nicht mehr mitteilt. Wenn so Veränderungen da sind, dann sollte man nicht warten, sondern den Kontakt suchen, ansprechen,
00:13:43: eine Beziehung herstellen, wo der Jugendliche sich auch traut, etwas zu sagen. Denn viele denken: Oh, da traue ich mich nicht, das spreche ich lieber nicht an.
00:13:53: Total falsch!
00:13:54: Im Gegenteil darauf zu gehen, offene Atmosphäre, entspannte Atmosphäre, nicht gerade so zwischendurch mal, gerade ist der Unterricht zu Ende: Ach, was ich dir noch sagen wollte, komm doch mal eben. Sondern einen Rahmen schaffen, in dem man in Ruhe spricht, das Gefühl vermitteln,
00:14:09: ich will mich auf dich einlassen und ich will dir zuhören.
00:14:12: Das ist der erste Schritt. Judith: Was ist denn wichtig, um Depressionen zu verstehen? Also was ist überhaupt eine Depression?
00:14:22: Herr Schulte-Körne: Depression ist tatsächlich eine
00:14:24: komplexe psychische Erkrankung. Die hat sowohl biologische Faktoren, auch genetische Faktoren,
00:14:32: aber was man auch weiß, ist, dass Umweltfaktoren wie Stress, chronischer Stress oder Stress, den man nicht löst, dazu führen kann, dass vielleicht jemand, der eine gewisse Veranlagung dazu hat, jetzt erkrankt.
00:14:45: Das heißt, es ist immer eine Wechselwirkung zwischen Biologie und Umwelt und deswegen hat unser Verhalten auch so eine große Bedeutung. Wir können gegensteuern, wir können versuchen, gerade für einen Schüler oder eine Schülerin, die belastet sind,
00:15:00: Entlastung zu schaffen und nicht noch mehr Druck reinzugeben, sondern Entlastung schaffen, entsprechend indem man sagt: "Er braucht mehr Zeit."
00:15:10: Ich versuche, auch zu verstehen, warum zum Beispiel Spannung in der Schule entsteht, in der Klasse,
00:15:15: vielleicht ist auch manchmal Mobbing der Grund, dass so eine Belastungssituation entsteht oder es passiert in Cybermobbing. Das kann man natürlich aus schulischer Perspektive manchmal nicht so genau wissen, aber man kann
00:15:27: eine Ebene schaffen, indem auch Jugendliche darüber sprechen.
00:15:30: Und dann kann man auch versuchen, entsprechend auch Hilfen den Eltern zu geben und zu sagen, hier ist Handlungsbedarf.
00:15:37: Judith: Was ich auch in Ihrem Portal schon gelernt habe, dort stand der Satz auch oder ich habe es in Ihrem Podcast gehört, auf den komme ich gleich auch noch zu sprechen: Depression ist nicht Depression. Also es läuft auch sehr unterschiedlich ab, ne.
00:15:52: Herr Schulte-Körne: Die Depression, muss man sagen, ist eine der vielen psychischen Erkrankungen, die nicht so einfach fassbar ist. Deswegen wird sie auch oft übersehen oder deswegen fällt es auch so schwer, die Diagnose zu stellen, aber wir wissen es geht.
00:16:06: Wenn man gut ausgebildet dafür ist, kann man es erkennen und man kann sie vor allem auch gut behandeln. Das ist auch das, was wir auf der Seite immer sagen. Nicht zu warten, sondern frühzeitig sich Hilfe zu suchen, damit man auch die fachliche
00:16:19: Unterstützung und auch entsprechende Behandlung bekommt. Judith: Wie sieht denn so eine Behandlung,
00:16:25: ich weiß gar nicht, ob man das überhaupt sagen kann, klassischerweise, aber wie sieht denn so eine Behandlung bei Jugendlichen aus im Fall von Depression?
00:16:32: Herr Schulte-Körne: Auf jeden Fall ist eine psychotherapeutische Behandlung sinnvoll. Das heißt, man hat ein Therapieangebot mit einer Person des Vertrauens, wo man versucht, in Gesprächen oder auch auf einer anderen Ebene
00:16:46: die Probleme zu verstehen und dann natürlich versuchen, das sofort zu verändern,
00:16:52: dass solche Stresssituationen weniger stressig sind oder dass Auslöser sich verändern oder dass ich auch lerne, besser mit Belastungssituationen umzugehen. Es gibt verschiedene Methoden dabei.
00:17:03: Im Grunde genommen ist allen Methoden gemeinsam, dass man über das Verstehen der Auslöser dieser Symptomatik oder der Problematik eine Änderung herbeiführt und dass man den Jugendlichen so stabilisiert, dass er eigene Ressourcen aktiviert,
00:17:18: um quasi zukünftig mit Herausforderungen des Lebens besser umzugehen.
00:17:25: Judith: Das erfordert ja, wenn ich das jetzt so höre, auch ein hohes Reflexionsvermögen der Kinder und Jugendlichen und ich glaube, da unterschätzt man sie vielleicht manchmal.
00:17:35: Herr Schulte-Körne: Ja, das ist ein wichtiger Punkt. Also man muss natürlich auch das Zutrauen haben.
00:17:43: Viele Kinder mit Depression haben das verloren, die sehen nicht die eigenen Stärken mehr, die sehen auch nicht ihre Ressourcen, sondern haben genau das gegenteilige Gefühl. Das hast du am Anfang der Behandlung, dass man versucht, über eine tragfähige emotionale Beziehung
00:17:56: den Jugendlichen Raum zu geben, ihre eigenen Ressourcen wiederzuentdecken und zu aktivieren. Das ist ein ganz wichtiger Schritt.
00:18:04: Judith: Es gibt ja auch so
00:18:07: begleitende Therapien noch wie Tanz oder Bewegung. Ich habe auch irgendwie bei Ihnen gelernt, so dieses in Aktion wiederzukommen und Leidenschaften zu entdecken, dass das auch ein ganz wichtiges Thema ist.
00:18:21: Herr Schulte-Körne: Absolut. Wichtig ist, dass man auch den Alltag entsprechend verändert und dazu gehört eben viel Bewegung und dann sollte man die Bewegung machen, die einem Spaß machen. Manche haben Spaß am Tanz, manche haben aber mehr Spaß beim Joggen,
00:18:34: manche haben Spaß am Tennisspielen, was auch immer. Es kommt gar nicht darauf an, was man will, sondern dass man es macht, dass man in die Bewegung kommt, in die Aktivierung.
00:18:44: Wir geben viele Tipps. Es gibt auch die Empfehlung der Ernährung. Das man darauf achtet.
00:18:50: Also viele Jugendliche ernähren sich auch wirklich schlecht, dass man sagt, achtet mehr auf eine regelmäßige Ernährung, auf eine ausgeglichene Ernährung. Auch das trägt zur psychischen Gesundheit bei.
00:19:03: Judith: Ja, ich glaube, das wird auch wirklich viel unterschätzt. Welche Rolle spielen denn Medikamente in der Behandlung?
00:19:09: Herr Schulte-Körne: Die Medikamente, das sind überwiegend denn ja auch tatsächlich welche, die die Stimmung verändern, also dass man eine bessere Stimmung bekommt.
00:19:18: Verordnet man dann, wenn es wirklich eine ausgeprägte Depression ist oder wenn man mit anderen Methoden nicht weiterkommt oder man sagt eben, um schnell auch eine Veränderung herbeizuführen, dass man es kombiniert mit einer
00:19:29: Psychotherapie. Aber ausschließlich Medikamente gibt man nicht, also immer nur in Verbindung mit der Psychotherapie.
00:19:36: Judith: Ich habe mich gefragt, wie ist das denn eigentlich, weil idealerweise handeln ja dort auch Therapeut, Kind oder Jugendlicher, Eltern und auch Schule
00:19:48: zusammen, weil die Kinder verbringen ja unglaublich viel Zeit eben auch in der Schule. Da frage ich mich, ob das in der Praxis so stattfindet, dass also Schule und Lehrer*innen auch immer integriert werden?
00:20:00: Herr Schulte-Körne: Es ist ein schwieriges Feld der Netzwerkarbeit. Das muss man sagen.
00:20:06: Es wäre sehr wünschenswert, wenn sich alle relativ zeitig
00:20:10: bei der Behandlungsplanung zusammensetzen, also nicht nur Kind und Therapeut und Eltern, sondern auch die Schule dazugehört oder vielleicht auch noch Freund*innen, die auch Teil des psychosozialen Umfelds sind. Das wird häufig vernachlässigt,
00:20:24: aber man kann es ändern. Man muss es nur identifizieren als eine Chance, man muss aber auch
00:20:29: lernen, solche Gespräche zu führen und sagen, wer welche Verantwortung übernimmt, weil wir wollen natürlich nicht, dass quasi
00:20:39: die ganze Verantwortung auf das Umfeld gelegt wird. Denn jeder ist für seine psychische Gesundheit selbst verantwortlich, auch die Kinder und Jugendlichen. Ich glaube, das muss man auch immer wieder reflektieren. Die entscheidenden Schritte gehen die Kinder und Jugendlichen selbst.
00:20:53: Wir unterstützen sie dabei. Wir können sie ihnen aber nicht abnehmen.
00:20:57: Judith: Ich glaube, das bringt sie ja auch noch mal in eine ganz aktive Rolle, die ja in dem Fall auch sehr sehr wichtig ist. Ich habe mir eben auch überlegt, weil
00:21:07: das ist auch Ihr Portal, es geht dort viel um Prävention und das kommt immer noch zu kurz. Das heißt,
00:21:15: meine Frage ist so ein bisschen, was könnten Sie sich so vorstellen, wie die Prävention zu diesem Thema Depression auch stärker in der Schule stattfinden kann.
00:21:25: Herr Schulte-Körne: Ich denke, in der Schule könnte viel passieren, indem man ganz gezielt Aufklärung macht, zum Beispiel mit unserer Seite. Die könnte man zum Anlass nehmen.
00:21:33: Wenn jede Schule diese Seite nehmen würde und in den Klassen das einführt, den Zugang zeigt und über das Thema diskutiert, das sind so viele Informationen, die man nutzen kann.
00:21:43: Kann man sich runterladen, kann das für die Schule wirklich prima nutzen.
00:21:47: Es ist eben tatsächlich für Kinder und Jugendliche gemacht, aber auch Erwachsene profitieren davon, auch vom Hintergrundtext. Wäre super!
00:21:55: Die Frage ist nur, wie gelingt es, dass überhaupt alle davon wissen, dass es die Seite gibt. Wie schaffen wir das tatsächlich, in die Schulen zu kommen und wie gelingt es, auch in den Schulen dazu eine positive Haltung zu bekommen, dass da etwas von außen kommt, was gut ist und was man integriert. Aber da müssen wir uns noch mehr öffnen.
00:22:12: Judith: Ja, ich glaube auch generell zu dem Thema. Ich glaube, es ist in Schulen immer noch ein Stück weit ein Tabuthema. Also ein bisschen offener wahrscheinlich was Kinder und Jugendliche angeht, aber innerhalb des Kollegiums werden solche Sachen auch nicht thematisiert und wir wissen, die
00:22:26: Berufsgruppe der Lehrer*innen ist eine der höchsten, die vom Burnout auch betroffen ist. Deswegen weiß ich nicht, ob es tatsächlich schon so ein Thema ist, was auch so super angekommen ist, aber das wollen wir ja gerne ändern.
00:22:38: Ergänzend zu Ihrem Portal gibt es ja eben auch den Podcast und den
00:22:43: fand ich persönlich auch wirklich toll, weil dort eben auch mit betroffenen Jugendlichen gesprochen wird. Da habe ich so gedacht, für die Arbeit in der Schule
00:22:54: an diesem Thema ist das super hilfreich, weil man einfach auch den Podcast einsetzen könnte zum Reflektieren oder sowas. Also das
00:23:03: ist auf jeden Fall gut gelungen sozusagen.
00:23:08: Es gibt auf dem Portal auch den Bereich "Betroffene unterstützen". Der richtet sich aber eher an Eltern. Wie können aber auch Jugendliche sich eigentlich untereinander helfen?
00:23:21: Herr Schulte-Körne: Dazu haben wir auch ganz explizit Informationen gegeben, weil wir es sehr wichtig finden, dass die Jugendlichen untereinander auch darüber kommunizieren und zwar in einer Art und Weise, die unterstützend ist. Weil viele Jugendlichen sagen, ich weiß gar nicht, soll ich meine
00:23:36: Mitschülerinnen und Mitschüler ansprechen, mache ich das nur noch schlimmer, wie ist das, wenn mir jemand zu lebensmüde Gedanken auch erzählt, wie gehe ich damit um. Also wir motivieren
00:23:46: tatsächlich auch die Jugendlichen,
00:23:48: geht in den Kontakt miteinander, ihr könnt euch sehr gut selbst stützen, ihr könnt gemeinsame Aktivitäten machen, geht es jemandem schlecht, ihr könnt über das Handy Sachen vereinbaren, du kannst mich immer anrufen, wenn es dir schlecht geht oder komm jetzt mit mir raus oder wir joggen jetzt. Es gibt so viele Möglichkeiten. Man denkt gar nicht, dass so einfache Dinge so viel helfen können, um mal einen Moment aus einem Tief rauszukommen und das wollen wir eigentlich auch immer wieder verdeutlichen. Es gibt
00:24:17: viele kleine Dinge, die man im Alltag machen kann, die aber in der Summe eine große Wirkung haben.
00:24:23: Judith: Und jetzt kommen wir noch mal zurück zu den Betroffenen. Also was ist Ihrer Meinung nach denn der beste Weg? An wen können sich Jugendliche im ersten Schritt wenden, wenn sie merken, dass aus dieser Traurigkeit, Antriebslosigkeit, dass sie da einfach irgendwie nicht mehr rauskommen?
00:24:39: Herr Schulte-Körne: Die ersten Ansprechpartner sind natürlich die Eltern.
00:24:43: Weil wenn es letztendlich den Weg ins Gesundheitswesen nimmt, sind die Eltern natürlich gefordert, auch die Kinder zu begleiten.
00:24:51: Natürlich können Jugendliche auch selbst zum Hausarzt gehen oder zum Facharzt gehen, aber es ist häufig gut, die Eltern mit einzubeziehen.
00:25:00: Viele Jugendliche sagen uns, wir wollen das nicht. Wir wollen die Eltern nicht belasten. Davor warne ich. Die Eltern sind
00:25:08: eher dadurch belastet, nichts zu wissen, weil sie natürlich das merken,
00:25:12: als wenn sie beteiligt sind. Dann können sie eine aktive Rolle einnehmen und können die Kinder und Jugendlichen noch dabei unterstützen. Deswegen tendiere immer dafür, die Eltern mit einzubeziehen und dann ist der nächste Schritt natürlich, wenn es um die Erkrankung zu erkennen geht, dann sind wir bei den Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten oder Kinder- und Jugendpsychiater,
00:25:31: die die Fachleute sind für diese Fragen.
00:25:36: Judith: Gut, wir kommen dann schon langsam zum Ende und da haben wir immer noch ein paar spezielle Fragen. Zuerst zu unserer sogenannten Wünschebox. Wenn es eine Sache gibt,
00:25:47: die Sie im Bereich Bildung ändern würden, welche wäre das?
00:25:52: Herr Schulte-Körne: Ich würde tatsächlich daran arbeiten, dass alle Lehrkräfte aller Schulformen über psychische Gesundheit und Erkrankung aufgeklärt werden und das auch tatsächlich als Pflichtseminar in der Ausbildung und in der zweiten Lehrerausbildung haben.
00:26:07: Judith: Und dann zu unserer vorletzten Frage. Die kommt von Ines Bieler, mit der ich in der letzten Episode der Marktplatzplauderei über eine bessere Verzahnung von Theorie und Praxis in der Lehrer*innenbildung gesprochen habe.
00:26:20: Wie sieht Ihrer Meinung nach das Schulbuch der Zukunft aus?
00:26:26: Herr Schulte-Körne: Ich denke, das wird eine Mischung haben zwischen tatsächlich dem klassischen Buch und digitalen Medien. Ich denke, wir werden einen Teil, gerade
00:26:35: aufgrund der Möglichkeiten bei digitalen Medien, Anpassungen machen, um eine große Verbreitung zu erreichen, weil wir darauf nicht verzichten können. Wir
00:26:43: sehen jetzt auch mit unserer Seite, was man da alles machen kann, eben mit Interviews, mit Podcast, mit animierten E-Learning-Plattformen und so etwas. Das ist
00:26:53: eine echte Bereicherung. Es wird das klassische Schulbuch nicht ersetzen, aber die Kombination aus beiden, glaube ich, ist eine spannende Entwicklung.
00:27:00: Judith: Ja, sehr interessanter Ansatz. Und Sie dürfen jetzt auch eine Frage überlegen, die wir unserer nächsten Gästin oder unserem nächsten Gast stellen, ohne dass sie wissen wer das sein wird.
00:27:12: Herr Schulte-Körne: Meine nächste Frage ist eigentlich, wie es gelingen kann, in der Politik die Bereiche Kultus und Gesundheit so zu verbinden, dass die endlich zusammenarbeiten.
00:27:24: Judith: Okay, gute Frage. Nehme ich mal mit. Lieber Professor Schulte-Körne, Ihnen vielen lieben Dank für Ihre Zeit heute. Haben Sie noch einen ganz guten Tag und ich wünsche Ihnen sehr viel Erfolg mit dem Portal.
00:27:38: Tschüss, machen Sie es gut! Herr Schulte-Körne: Vielen Dank. Tschüss.
00:27:40: Judith: Jetzt noch einen kleinen Hinweis an euch Hörer*innen. Wir gehen mit der Marktplatzplauderei erstmal wieder in die Winterpause und hören uns dann im Februar wieder.
00:27:52: Bis dahin fällt es mir aktuell gerade etwas schwer, euch eine schöne Zeit zu wünschen. Deshalb sage ich jetzt lieber: Lasst euch impfen und bleibt gesund.
00:28:01: Music.